Neuigkeiten aus der Pressestelle des Bundesministerium der Justiz
Präsentiert durch die Anwaltskanzlei Bernd Wünsch
Titel:
Reform der Sicherungsverwahrung unter rechtsstaatlichem Vorzeichen
Quellenangabe:
Bundesministerium der Justiz
Veröffentlichung am:
8. November 2012 (Donnerstag)
Nachricht:
- Erscheinungsdatum
- 08.11.2012
Zu dem heute vom Bundestag verabschiedeten Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebots im Recht der Sicherungsverwahrung erklärt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:
Die Verabschiedung des Regierungsentwurfs zur Sicherungsverwahrung durch den Deutschen Bundestag ist ein zentraler Schritt hin zu einer grundlegenden Neuordnung der Sicherungsverwahrung.
Über die vom Bundesverfassungsgericht geforderten Leitlinien zum Abstandsgebot haben sich Bund und Länder in konstruktiven und intensiven Abstimmungsgesprächen geeinigt, bevor der Deutsche Bundestag den Regierungsentwurf beriet. Die Sachlichkeit, mit der über die parteipolitischen Grenzen hinweg die Lehren aus den Fehlern der Vergangenheit gezogen werden, sollte auch den weiteren Weg der Gesetzgebung im Bundesrat prägen. Die Reform der Sicherungsverwahrung ist Ausdruck einer Gesetzgebung, die Sicherheit unter rechtsstaatlichem Vorzeichen garantiert.
Das Bundesverfassungsgericht hat 2011 die Ausgestaltung des Vollzugs der Sicherungsverwahrung in den Ländern beanstandet. Der Gesetzesbeschluss schreibt vor, die Gefährlichkeit der Untergebrachten für die Allgemeinheit durch intensive Betreuung so weit wie möglich zu mindern. Die Richter in Karlsruhe haben hier genaü Vorgaben gemacht, die nun 1:1 umgesetzt werden. Die Gerichte werden künftig überprüfen, ob die Betreuung auch in dem Maß angeboten wird, wie das Verfassungsgericht es fordert. Niemand soll freigelassen werden müssen, nur weil er nicht therapiert werden will oder therapiert werden kann.
Mit der Verabschiedung im Bundestag erhalten die Länder Planungssicherheit für ihre Vollzugsgesetze, und in den Anstalten können die räumlichen und personellen Voraussetzungen geschaffen und der Alltag neu ausgerichtet werden. Auch deshalb ist es jetzt wichtig, dass das Vorhaben nicht verzögert wird.
Die Sicherungsverwahrung ist ein wichtiges Instrument, das nicht wie in der Vergangenheit durch fehlerhafte Gesetzgebung Gefahr laufen darf, durch den Europäischen Menschengerichtshof oder das Bundesverfassungsgericht aufgehoben zu werden.
Das neü Recht gibt den Richtern verstärkt die Möglichkeit, sich die Entscheidung vorzubehalten, ob jemand im Anschluss an die Haft in Sicherungsverwahrung kommt. Ein solcher Vorbehalt kann ausgesprochen werden, wenn der Richter über die Gefährlichkeit zum Zeitpunkt der Verurteilung keine abschließende Vorhersage treffen kann. Ob der Täter tatsächlich in Sicherungsverwahrung kommt, entscheidet sich in diesem Fall am Ende der Strafhaft. Das wird den Druck auf den Täter erhöhen, an Therapien teilzunehmen.
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung hat den Praxistest nicht bestanden. Die Ausweitung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung wird genau dort greifen, wo bislang die unpraktikable nachträgliche Sicherungsverwahrung eigentlich greifen sollte.
Zum Hintergrund:
Das Bundesverfassungsgericht erklärte am 4. Mai 2011 die Regelungen zur Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig. Für eine Neuregelung wurde den Gesetzgebern in Bund und Ländern eine zweijährige Übergangsfrist gesetzt.
Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass der verfassungsrechtlich gebotene Abstand zwischen Strafhaft und Sicherungsverwahrung strikt beachtet wird. Regelungsbedarf ergibt sich aus dem Urteil also für den Vollzug der Sicherungsverwahrung in den Ländern. Wer in der Sicherungsverwahrung untergebracht ist, hat bereits eine Gefängnisstrafe voll verbüßt. Anknüpfungspunkt für den Entzug der Freiheit ist der Schutz der Allgemeinheit vor der Gefahr, die weiter von dem Untergebrachten ausgeht. Deshalb müssen Sicherungsverwahrte anders behandelt werden als Strafgefangene. Das ist das so genannte Abstandsgebot, um das es im Kern der Entscheidung geht. Die in den Ländern praktizierte Sicherungsverwahrung erfüllt bisher nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Abstandsgebots bei der Ausgestaltung des Vollzugs.
Das Bundesverfassungsgericht hat bei der konkreten Ausformulierung des Abstandsgebots im Gesetz sowohl den Bund als auch die Länder in die Pflicht genommen. Dem Bund hat das Gericht aufgegeben, wesentliche Leitlinien aufzustellen. Der bundesgesetzliche Teil zur Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben zum Abstandsgebot ist im vergangenen Jahr in enger Abstimmung mit den Ländern ausgearbeitet worden. Dabei sind die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts strikt beachtet worden. Denn nur wenn die Leitlinien diesen Vorgaben genau folgen, wird das unverzichtbare Instrument der Sicherungsverwahrung verfassungsfest und kann überhaupt beibehalten werden.
Im Kern geht es dabei um detaillierte Vorgaben zur Therapierung der verurteilten Täter schon während ihrer Strafhaft und später in der Sicherungsverwahrung. Den Tätern muss eine intensive und individüll zugeschnittene, insbesondere sozialtherapeutische Behandlung angeboten werden. Damit Umsetzungsprobleme frühzeitig erkannt und behoben werden können, sollen die Möglichkeiten einer Behandlung sowohl in der Strafhaft als auch später in der Sicherungsverwahrung regelmäßig vom Gericht überprüft werden.
Aufgrund des heute vom Bundestag beschlossenen Gesetzeskönnen die Länder ihre Vollzugsgesetze vorantreiben. In den Vollzugsanstalten können die räumlichen und personellen Voraussetzungen geschaffen und der Alltag neu ausgerichtet werden.
Ein wichtiger Kritikpunkt des Bundesverfassungsgerichts betraf frühere Verschärfungen der Sicherungsverwahrung, insbesondere Neürungen aus den Jahren 1998 und 2004. Das Gericht kritisierte die rückwirkende Anwendung dieser Verschärfungen und die nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung nach früherem Recht. Diese Beanstandungen im Urteil beziehen sich also nicht auf alle Sicherungsverwahrten. Es geht vielmehr um bestimmte Altfälle.
Der heutige Beschluss schreibt die grundlegenden Weichenstellungen der Neuordnung fort, die seit Anfang 2011 gilt und die damals im Bundestag auch die Zustimmung der SPD-Fraktion fand. Unangetastet bleibt der Katalog der Anlasstaten bestehen, der im Wesentlichen auf schwere Gewalt- und Sexualstraftaten eingeengt wurde. Diebe, Betrüger und Urkundenfälscher sollten nach der Neuordnung gerade nicht mehr in Sicherungsverwahrung kommen können. Dies entspricht der Grundausrichtung des Urteils. Die Verfassungsrichter betonten, dass die Sicherungsverwahrung nur letztes Mittel sein kann und eng begrenzt sein muss.
Unangetastet bleibt auch die Abkehr von der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach Strafhaft. Sie wurde durch eine Ausweitung der Instrumente der primären und insbesondere der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung ersetzt, soweit Fälle nach Inkrafttreten der seit 2011 geltenden Neuordnung betroffen sind. Für Verurteilte wegen vor 2011 begangenen Straftaten gilt eine Altfallregelung mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Auch im Jugendstrafrecht wird nun die nachträgliche Sicherungsverwahrung nach Strafhaft durch die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ersetzt.
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