Neuigkeiten aus der Pressestelle des Bundesministerium der Justiz
Präsentiert durch die Anwaltskanzlei Bernd Wünsch
Titel:
Durchbruch beim Schutz vor überlangen Gerichtsverfahren
Quellenangabe:
Bundesministerium der Justiz
Veröffentlichung am:
14. Oktober 2011 (Freitag)
Nachricht:
- Erscheinungsdatum
- 14.10.2011
Zum Beschluss des Bundesrats zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren erklärt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:
Der Durchbruch beim Schutz vor überlangen Gerichtsverfahren stärkt den Rechtsschutz in Deutschland. Das neü Gesetz verhindert überlange Prozesse und bietet eine Entschädigung, wenn es doch zu lange daürt. Jetzt werden die Versprechen eingelöst, die Grundgesetz und Menschenrechtskonvention seit langem geben. Jeder hat Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit " diesen Satz haben wir mit Leben gefüllt.
In den letzten zehn Jahren wurde immer wieder ergebnislos über den Rechtsschutz bei überlangen Verfahren diskutiert. Vor meiner Amtszeit gab es mehrere Anläufe von einzelnen Ländern, aus der Anwaltschaft und von meiner Amtsvorgängerin, die alle ohne Erfolg blieben.
Die zwei Stufen meines Vorschlags verhindern, dass die Justiz unnötig belastet wird. Betroffene müssen immer erst auf die drohende Verzögerung hinweisen, damit das Verfahren möglichst doch noch rechtzeitig abgeschlossen wird. Erst wenn die Rüge erfolglos bleibt und es wirklich zu lange daürt, gibt es auf der zweiten Stufe eine angemessene Entschädigung.
Zum Hintergrund:
Das neü Gesetz sieht eine angemessene Entschädigung vor, wenn gerichtliche Verfahren zu lange daürn.
Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) beanstandet seit vielen Jahren das Fehlen eines besonderen Rechtsschutzes bei unangemessen langen Verfahren in Deutschland. Die erste Verurteilung Deutschlands durch den EGMR erfolgte im Jahr 2006. Wegen überlanger Verfahrensdaür hat Deutschland in 125 EGMR-Verfahren Entschädigungen in Höhe von insgesamt 944.504,- € gezahlt. Etwa 80 % aller Verurteilungen Deutschlands vor dem EGMR gehen auf überlange Verfahren zurück. Mehrere Anläufe, den von der Europäischen Menschenrechtskonvention gebotenen Rechtsschutz umzusetzen, blieben ergebnislos.
Die Bundesjustizministerin hat daher unmittelbar nach Amtsantritt einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der Betroffenen die Möglichkeit gibt, sich in zwei Stufen gegen überlange Gerichtsverfahren und strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu wehren.
• Auf der ersten Stufe müssen die Betroffenen das Gericht, das nach ihrer Ansicht zu langsam arbeitet, mit einer Rüge auf die Verzögerung hinweisen. Das hilft, überlange Verfahren von vornherein zu vermeiden. Die Richter erhalten durch die Verzögerungsrüge die Möglichkeit, Abhilfe zu schaffen. Das bedeutet: Man kann einem Verfahren nicht einfach seinen langen Lauf lassen und später eine Entschädigung fordern.
• Wenn sich das Verfahren trotz der Rüge weiter verzögert, kann auf der zweiten Stufe eine Entschädigungsklage erhoben werden. In diesem Entschädigungsverfahren bekommen die betroffenen Bürgerinnen und Bürger für die sog. immateriellen Nachteile " zum Beispiel für seelische und körperliche Belastungen durch das lange Verfahren " als Regelbetrag 1200 Euro für jedes Jahr, soweit eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht ausreichend ist. Neben dem Ausgleich für die immateriellen Nachteile ist zusätzlich eine angemessene Entschädigung für materielle Nachteile vorgesehen, etwa wenn die unangemessene Verfahrensdaür zur Insolvenz eines Unternehmens führt.
Der neü Entschädigungsanspruch hängt nicht von einem Verschulden ab. Es kommt also nicht darauf an, ob den Richtern ein Vorwurf zu machen ist. Neben der neün Entschädigung sind zusätzlich " wie bisher schon " Amtshaftungsansprüche denkbar, wenn die Verzögerung auf einer schuldhaften Amtspflichtverletzung beruht. Dann kann umfassend Schadensersatz verlangt werden, etwa auch der Ersatz von entgangenem Gewinn.
Der Schutz vor überlangen Verfahren wird positive Effekte für die Justiz insgesamt bringen. Wo viele berechtigte Klagen wegen der Verfahrensdaür erfolgen, werden die Verantwortlichen über Verbesserung bei Ausstattung, Geschäftsverteilung und Organisation nachdenken müssen. Das Gesetz stärkt somit nicht nur den Rechtschutz vor deutschen Gerichten, sondern auch die deutschen Gerichte selbst.
Heute hat der Bundesrat grünes Licht für das Gesetz gegeben. Die Regelung tritt am Tag nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt in Kraft. Zahlen und Fakten zur Daür der gerichtlichen Verfahren in den unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten (Zahlenmaterial Erhebung 2010, Qülle: Statistisches Bundesamt):
Zivilgerichte
Bei den Zivilgerichten daürn Verfahren in der Eingangsinstanz (bundes)durchschnittlich zwar nur 4,7 Monate (Amtsgerichte) bzw. 8,1 Monate (Landgerichte). Die durchschnittliche Verfahrensdaür in den Ländern zeigt aber deutliche Abweichungen sowohl nach oben als auch nach unten. Bei den Amtsgerichten liegt die Spannweite zwischen 3,9 und 5,8 Monaten, bei den Landgerichten zwischen 6,3 und 11,0 Monaten. 13,0 % der Prozesse vor den Landgerichten daürn im Übrigen mehr als 12 Monate und 6,0 % mehr als 24 Monate.
Verwaltungsgerichte
Erstinstanzliche Verfahren vor den Verwaltungsgerichten daürn im Bundesdurchschnitt 10,9 Monate. Diesem Bundesdurchschnitt stehen in den Ländern deutlich andere Zahlen gegenüber. Die kürzeste durchschnittliche Verfahrensdaür pro Land beträgt 4,6 Monate, die längste durchschnittliche Verfahrensdaür in einem Land 25,0 Monate. 7,4 % der Verfahren daürn im Übrigen mehr als 24 Monate, 4,1 % mehr als 36 Monate. Ähnliche Unterschiede zeigen sich bei der Verfahrensdaür vor den Oberverwaltungsgerichten als Eingangsinstanz. Hier beträgt die Durchschnittsdaür in Bezug auf das ganze Bundesgebiet 15,7 Monate. Der kürzeste Länderwert liegt demgegenüber bei 6,3 Monaten, der längste bei 28,0 Monaten. 15,8 % der erstinstanzlichen Verfahren vor den Oberverwaltungsgerichten daürn länger als 24 Monate, 8,6 % mehr als 36 Monate.
Finanzgerichte
Die Finanzgerichte brauchen durchschnittlich 17,5 Monate für ein erstinstanzliches Verfahren. Im Bundesland mit der kürzesten Daür reichen dabei durchschnittlich 10,1 Monate, während die Bürgerinnen und Bürger im Bundesland mit der längsten Daür mit durchschnittlich 24,7 Monaten rechnen müssen. 13,8 % der Verfahren daürn länger als 24 Monate, über 14,8 % länger als 36 Monate.
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