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Neuigkeiten vom Bundesverfassungsgericht
Präsentiert durch die Anwaltskanzlei Bernd WünschTitel:
Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit heute veröffentlichtem Beschluss auf Grundlage einer Folgenabwägung einem Eilantrag syrischer Journalisten gegen eine sitzungspolizeiliche Verfügung des Oberlandesgerichts Koblenz stattgegeben. Dieses hatte ihnen in einem Völkerstrafverfahren gegen mutmaßliche ehemalige Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes nicht gestattet, durch eigene Vorkehrungen oder durch Zulassung zur gerichtlich gestellten Dolmetscheranlage das deutschsprachige Prozessgeschehen simultan ins Arabische übersetzen zu lassen.
Die Kammer bekräftigt, dass das Grundrecht der Pressefreiheit Medienvertretern einen Anspruch auf gleichberechtigten und reellen Zugang zu Gerichtsverhandlungen zum Zweck der Berichterstattung verschafft. Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Anspruch unter besonderen Umständen auch ein Recht auf Zulassung von Hilfsmitteln einschließt, die benötigt werden, um sich die Inhalte des Prozessgeschehens tatsächlich zu erschließen. Angesichts dessen gebietet eine Folgenabwägung in Anbetracht des besonderen Interesses gerade syrischer Medien und der von ihnen informierten Öffentlichkeit an dem vorliegenden Strafverfahren den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung. Aktenzeichen:
20. August 2020 | „Syrien-Folterprozess“ - Eilantrag syrischer Journ
Quellenangabe:
Bundesverfassungsgericht Veröffentlichung am:
20. August 2020 (Donnerstag) Nachricht:
Sachverhalt:
Seit April dieses Jahres findet vor dem Oberlandesgericht Koblenz ein Strafverfahren gegen zwei mutmaßliche ehemalige Mitarbeiter des syrischen Allgemeinen Geheimdienstes wegen Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch im syrischen Bürgerkrieg statt. Die Beschwerdeführer sind journalistisch tätige syrische Staatsangehörige, die über den Prozess berichten wollen. Sie sprechen jedoch kein Deutsch. Für die ebenfalls nicht Deutsch sprechenden Angeklagten und Nebenkläger findet eine gerichtlich bereitgestellte Simultanübersetzung ins Arabische statt, die per Kopfhörer übertragen wird. Im April ordnete das Gericht in Hinblick auf die Ausbreitung des Coronavirus einen Mindestabstand an. Den Beschwerdeführern ist es daher nicht gestattet, wie üblich über selbst gestellte sogenannte Flüsterdolmetscher für eine eigene Simultanübersetzung ins Arabische zu sorgen. Die Beschwerdeführer beantragten deswegen, mit von ihnen selbst zu beschaffenden Empfangsgeräten Zugang zur gerichtlich gestellten Simultanübersetzung zu erhalten. Hilfsweise beantragten sie, dass ihnen erlaubt werde, über eigene Vorkehrungen im Gerichtssaal für eine akustisch abgeschirmte Simultanübersetzung zu sorgen. Diese Anträge wies die Vorsitzende mit dem angegriffenen Beschluss zurück.
Wesentliche Erwägungen der Kammer:
1. Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Ist eine Verfassungsbeschwerde weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet, richtet sich der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach einer Folgenabwägung. Dabei sind die Folgen, die ein-treten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde später aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre.
2. Die Verfassungsbeschwerde der journalistisch tätigen Beschwerdeführer ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet.
Allerdings sind die Entscheidung über den Zugang zu Gerichtsverhandlungen, die Zulassung von Arbeitsgeräten oder anderen Hilfsmitteln und die Festlegung infektionsschützender Maßnahmen im Gerichtssaal grundsätzlich Fragen, die der Prozessleitung der jeweiligen Vorsitzenden obliegen. Sitzungspolizeiliche Verfügungen müssen jedoch den grundsätzlichen Anspruch der Presse auf Zugang für eine freie Berichterstattung berücksichtigen und dem Recht der Medienvertreter auf gleichheits-gerechte und reelle Teilhabe an den Berichterstattungsmöglichkeiten Rechnung tragen. Danach können prozessbeobachtende Medienvertreter zwar grundsätzlich auf Deutsch als Gerichtssprache verwiesen werden und müssen staatliche Ressourcen für eine Übersetzung in andere Sprachen nicht zur Verfügung gestellt werden. Für sich genommen tragfähige prozessleitende Regelungen müssen aber auch in ihrem Zusammenspiel die Chancengleichheit der interessierten Medienvertreter realitätsnah und nicht nur formal gewährleisten. Bei der Ausübung der Prozessleitungsgewalt ist daher die tatsächliche Situation der akkreditierten Personen und der vorhersehbar Interessierten hinreichend zu berücksichtigen. Dazu zählen auch die Sprachkenntnisse zugelassener Medienvertreter und damit deren reelle Möglichkeit, das Verfahren zu verfolgen und aus dem Inbegriff der Verhandlung darüber zu berichten.
Ob die Beschwerdeführer durch die angegriffene Verfügung in ihren Grundrechten verletzt sind, bedarf danach einer näheren Prüfung, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss. Hierbei wird zu berücksichtigen sein, dass es sich um ein Strafverfahren handelt, das eine ungewöhnlich große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zieht und naheliegend auch auf das Interesse von insbesondere syrischen und damit oftmals arabischsprachigen Medienvertretern stößt, die des Deutschen nicht mächtig sind. Dies gilt umso mehr, weil die Bundesrepublik Deutschland hier eine Gerichtszuständigkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch für sich beansprucht, die nach allgemeinen Regeln nicht gegeben wäre und die dem besonderen, die internationale Gemeinschaft berührenden Charakter der in Frage stehenden Straftaten geschuldet ist.
3. Erginge keine einstweilige Anordnung, bestünde die Gefahr, dass die Beschwerdeführer, wie auch andere ausländische Medienvertreter mit besonderem Bezug zu den angeklagten Straftaten, über Monate hinweg von der Möglichkeit einer eigenen, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Berichterstattung über das Strafverfahren ausgeschlossen blieben, obwohl ihnen ein solcher Anspruch rechtlich zustand. Diese Ungleichbehandlung, insbesondere im Verhältnis zu inländischen Medienvertretern, wiegt schwer, weil gerade syrische Medienvertreter ein besonderes Interesse an einer eigenständigen Berichterstattung über diesen Prozess geltend machen können. Denn Opfer, Täter, Tatort und historisch-politischer Hintergrund der angeklagten Taten sind syrischer Herkunft beziehungsweise liegen in Syrien. Ein entsprechend großes Informationsbedürfnis besteht gerade in der syrischen Bevölkerung – in Syrien und in anderen Ländern der Welt.
Diese Nachteile überwiegen gegenüber den Nachteilen, die im umgekehrten Fall entstünden. Zwar hätten die Beschwerdeführer dann Zugang zu einer Simultanübersetzung in die arabische Sprache, auf den sie keinen grundrechtlichen Anspruch gehabt hätten. Eine darin liegende Ungleichbehandlung gegenüber anderen der deutschen Sprache nicht mächtigen Medienvertretern wöge jedoch vor dem Hintergrund des besonderen Interesses der Beschwerdeführer und der syrischen Öffentlichkeit sowie der zahlreichen noch zur Verfügung stehenden Saalplätze weniger schwer. Denn anderen Medienvertretern und der allgemeinen Öffentlichkeit erwächst aus der Bewilligung der einstweiligen Anordnung zugunsten der Beschwerdeführer kein Nachteil. Angesichts der noch zur Verfügung stehenden Sitzplätze würde durch eine Zulassung weiterer dolmetschender Personen in den Gerichtssaal auch nicht die von der Vorsitzenden für vertretbar gehaltene Gesamtzahl anwesender Personen und das damit verbundene allgemeine Ansteckungsrisiko überschritten. Daher wiegt der Ausschluss der Beschwerdeführer von einer reellen Berichterstattungsmöglichkeit über das Verfahren vorliegend schwerer.
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